Kein Frieden mit Tätern – Aufklärung jetzt!

Kaishū Sano: Der Skandal unterm Teppich bei Mainz 05.

Mainz 05 hat ein Problem – ein Problem im Umgang mit Sexismus sowie mit sexueller bzw. sexualisierter Gewalt. Und auch die Kurve, die noch immer männlich dominiert ist, hat dieses Problem, das sich durch die gesamte Gesellschaft zieht. Dass darüber nicht gesprochen wird, dass der allgegenwärtige Sexismus, dass Gewalt und selbst Morde an Frauen kaum Aufmerksamkeit erregen, dass all dies nicht zum ‚Skandal‘ zu taugen scheint, ist Teil des Problems und zeigt, wie tief es in den Köpfen verankert ist. Auch Mainz 05 beteiligt sich aktuell an dieser gesellschaftlichen Praxis des Totschweigens: Ein Spieler, der möglicherweise an einer Gruppenvergewaltigung teilgenommen hat, wird – als sei nichts gewesen – ins Team integriert, während Betroffenen damit jede Solidarität entzogen und über die Gewalt ein Mantel des Schweigens gelegt wird, der allein dem Täterschutz zugutekommt.

Zusammenfassung der Ereignisse

Am 3. Juli verkündete Mainz 05 die Verpflichtung des japanischen Mittelfeldspielers Kaishū Sano, der sich anschließend für einen „Sonderurlaub“ zurück nach Japan begab, wo er in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli in Tokio verhaftet wurde. Warum, das ist bis heute nicht so recht klar – bekannt ist lediglich, dass Sano und zwei männliche Begleiter mit einer Frau in ein Hotelzimmer gingen. Von dort verständigte die Frau wegen sexuell übergriffigen Verhaltens – Näheres weiß man nicht – die Polizei, die Sano und seine beiden Kumpanen in unmittelbarer Nähe des Hotels festnahm. 16 Tage befand sich Sano daraufhin in Untersuchungshaft. Die japanischen Behörden ließen Presseanfragen unbeantwortet, sodass bald vielerlei Gerüchte aufkamen – zwischenzeitlich war gar von einem Schuldeingeständnis durch Sano und einen der beiden anderen Männer die Rede – und Mainz 05 sich auf den Standpunkt zurückziehen konnte: Mangels verlässlicher Informationen könne man sich überhaupt nicht äußern. Am 31. Juli vermeldete der Verein dann wortkarg die Freilassung Sanos aus der U-Haft: Die Staatsanwaltschaft in Tokio habe das Ermittlungsverfahren eingestellt, Sano werde in Kürze zur Mannschaft stoßen. Und damit war das Thema für den Verein auch beendet. Statt irgendwelche kritischen Nachfragen oder auch nur alibimäßige Bemühungen zur Sachverhaltsaufklärung zu unternehmen, erklärte Christian Heidel in einem AZ-Interview, er sei „froh“, dass „die Sache geklärt“ und „alles abgehakt“ sei.

Täterschutz über allem

Dieser Umgang vonseiten des Vereins ist ebenso schamlos wie beschämend. Nicht eine verlässliche Information zur Tatnacht oder zur Einstellung der Ermittlungen konnte (oder wollte?) Mainz 05 bislang öffentlich machen – stattdessen soll ein Schlussstrich gezogen werden, soll es wieder ums Sportliche gehen. Die Ignoranz des Vereins gipfelt dabei in der zynisch-höhnischen Aussage, Sano habe „das Ganze gut verkraftet“ – womit sich der Täterschutz zur klassischen Täter-Opfer-Umkehr auswächst: Sano, mutmaßlich Mittäter einer Gruppenvergewaltigung, hat also die folgenden Ermittlungen „gut verkraftet“? Wie schön für ihn. Ob sich das über die überlebende Frau auch sagen lässt… interessiert Mainz 05 doch nicht.

Inzwischen hat der Verein Sano ganz offiziell willkommen geheißen, der Spieler wird als normales Teammitglied präsentiert und die Nacht in Tokio ist längst unter den Teppich gekehrt. Auch das lokale Käseblatt der AZ, die zuvor noch die „undurchsichtige Lage“ beklagte, kommt seiner Rolle als Haus- und Hofzeitschrift des Vereins mehr nach als seiner vermeintlichen Kontrollfunktion als Vierte Gewalt. Sie schließt sich den Prinzipien des Täterschutzes an und partizipiert fleißig an ihnen – anstatt Fragen zu stellen, die sie zuvor selbst aufgeworfen hat.

Zur Unschuldsvermutung

Die Muster hinter dem ‚Fall Sano‘ sind leider nur allzu vertraut: Betroffenen von sexueller bzw. sexualisierter Gewalt wird nicht zugehört, wird nicht geglaubt, wenn sie nicht gar selbst für ihre Erfahrungen verantwortlich gemacht werden. Die Unterdrückung von Frauen hat System, sie findet nicht zuletzt auch in der Polizei und anderen Behörden statt, und so führen Relativierungen, mangelndes Interesse an Aufklärung sowie das Wegschauen des Umfelds dazu, dass sexistische Übergriffe (für die Täter) oft folgenlos bleiben. Schon deshalb kann die Einstellung des Ermittlungsverfahrens den Verdacht gegen Sano nicht entkräften.

Und die Unschuldsvermutung? Ja, die gibt es – allerdings richtet sie sich an den Staat. Dieser muss den Menschen eine Straftat erst nachweisen, bevor er sanktionieren darf. Für Akteure der Zivilgesellschaft, für Fußballvereine, gilt dies aber gerade nicht, wie schon die Praxis der Stadionverbote zeigt: Zu ihrer Verhängung braucht es bekanntlich keine rechtskräftige Verurteilung. Denn nicht alles, was strafbar ist, lässt sich strafrechtlich ahnden. Und nicht jedes verwerfliche Verhalten ist strafrechtlich verboten. Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts durch Gerichte kann und muss sich die Zivilgesellschaft deshalb moralisch positionieren. Der ‚Fall El Ghazi‘ hat dies erst kürzlich verdeutlicht: Hier hat der Verein richtigerweise und eindeutig Stellung bezogen und klargestellt, dass die antisemitischen Äußerungen El Ghazis unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz nicht mit den Werten und der Geschichte von Mainz 05 zu vereinen sind. Der Verein hat dem Spieler gekündigt und steht zu seiner Entscheidung – sogar gegen den Widerspruch des örtlichen Arbeitsgerichts.

Jetzt aber, wo es um Sano geht, um Gewalt gegen Frauen, wird die Unschuldsvermutung plötzlich zum heiligen Prinzip erhoben. Dass Sano als strafrechtlich unbescholten zu gelten hat, ist zwar richtig – über seine Schuld ist damit jedoch nichts gesagt. Denn die Einstellung des Strafverfahrens muss nicht aus tatsächlichen Zweifeln an seiner (Mit-)Täterschaft folgen, sondern kann sich auch aus rechtlichen Beweisproblemen ergeben, aus mangelnder Aussagebereitschaft der Betroffenen, aus bloß formalrechtlichen Hürden, aus außergerichtlichen Einigungen – aus Schweigegeldzahlungen. Und was ist eigentlich mit den Verfahren gegen die beiden Begleiter Sanos? Laufen sie noch? Und wie gehen sie weiter? Es gibt insgesamt viel mehr Fragezeichen als Antworten.
Unbestritten bleibt nur: Es gab eine Frau, die sich vom besagten Hotelzimmer aus hilfesuchend an die Polizei gewandt hat, und die Sano offenbar als Täter benannte. Und bislang gibt es schlichtweg keinen Grund, an der Darstellung dieser Frau zweifeln. Der Frau ist zu glauben. Solange nicht klar ist, was Sano konkret vorgeworfen wurde und weshalb das Verfahren eingestellt wurde, bleibt er deshalb ein Täter. Punkt.

Kein Frieden mit Tätern – Aufklärung jetzt!

Mit Tätern darf es keinen Frieden geben. Gegen ihre Gewalt anzukämpfen, bedeutet, sich endlich mit den Betroffenen zu solidarisieren, und es endlich als einen verdammten, himmelschreienden Skandal zu erkennen, dass der Vergewaltiger Cristiano Ronaldo als Weltstar und Kinderidol gilt, dass der prügelnde Jérôme Boateng ohne Weiteres einen neuen Club findet, dass Ekelpakete wie Till Lindemann und Luke Mockridge weiter Stadien füllen und dass mutmaßliche Vergewaltiger wie Atakan Karazor und Kaishū Sano in der Bundesliga spielen dürfen. Die Täter behalten ihren Platz in der Öffentlichkeit, das Leben der von ihnen geschädigten Frauen hingegen wird auf den Kopf gestellt – und als wäre das nicht genug, jammern ihre Peiniger noch darüber, öffentlich ‚am Pranger‘ zu stehen. Wie schön wäre es, würden sie das mal tatsächlich tun, am Pranger stehen. Dass Kaishū Sano das nicht muss, ist nicht zuletzt der Verdienst von Mainz 05 und Christian Heidel.

Die Gewalt gegen Frauen wird also nicht besprochen und kann sich fortsetzen. Verantwortliche, Spielerberater, Trainer und auch Fans sind nicht bereit, wirtschaftlich-sportliche Schäden hinzunehmen, um an diesen Zuständen etwas zu ändern. Mainz 05 wirkt überfordert und macht sich selbst mitschuldig. Der Verein leistet keinen Beitrag zur Aufklärung, es gibt kein Konzept zum Umgang mit sexueller bzw. sexualisierter Gewalt und es fehlt an jedem Versuch, ein diesbezügliches Interesse auch nur zu heucheln. Damit sendet der Verein ein niederschmetterndes Signal an alle Betroffenen – nicht zuletzt auch an alle weiblichen Fans von Mainz 05, mit deren großer Anzahl sich sonst gerne geschmückt wird.

Trotzdem ist dies sicher nicht der Moment, um mit dem Finger in irgendeine Richtung zu zeigen – die Fans in der Kurve, allen voran die Männer, sind gut beraten, bei sich selbst anzufangen: Wie verhalte ich mich? Inwiefern trage ich dazu bei, den Fußball und das Stadion als angeblich ‚männliche Domäne‘ zu erhalten? Was könnte ich ändern, damit sich Frauen in der Kurve und in meinem Umfeld wohler fühlen?

Es geht also nicht darum, eine Moralkeule zu schwingen. Es geht darum, den zivilgesellschaftlichen Akteur Mainz 05 an seine Verantwortung zu erinnern und einzufordern, dass Vergewaltiger und andere Täter dort keine Rückzugs- und Schutzräume finden dürfen. Deshalb muss das völlig inakzeptable Verhalten des Vereins endlich aufhören! Es bedarf eines ausführlichen Statements von Mainz 05, es braucht eine schonungslose, umfassende und transparente Aufklärung!

Solange sie fehlt, bleibt Kaishū Sano Täter, und jeder Versuch eines Schlussstrichs bleibt Täterschutz. Mainz 05 muss endlich handeln. Aufklärung jetzt!